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Autozüge zu Straßenbahnen

Am Dienstagmittag stoppten Aktivist:innen in Wolfsburg einen Autozug mit Neuwagen, der das VW-Gelände verlassen sollte. Mit einem großen Transparent verkleideten die Aktivist:innen Teile des Zugs als Straßenbahn. Mit der Aktion wollten die Aktivist:innen Volkswagen dazu auffordern, ihr Werk umzubauen und zum Vorreiter der Verkehrswende zu werden. “VW soll im Wolfsburger Stammwerk künftig keine Autos mehr produzieren, sondern öffentliche Verkehrsmittel – allem voran Straßenbahnen”, fordern die Aktivist:innen in einer Pressemitteilung.

Volkswagen bekennt sich auf der Webseite “ausdrücklich zum Pariser Klimaabkommen”. Bis 2030 will das Unternehmen in Europa den Anteil der Elektromobilität in der Flotte auf 70 % erhöhen. E-Autos seien nicht die Lösung entgegnen die Aktivist:innen auf dem Autozug. “Was wir gerade brauchen ist weniger Konsum von klimaschädlichen Produkten wie zum Beispiel Autos”, sagt Mona, eine der Aktivist:innen. “Da VW nicht von selbst in die Puschen kommt, etwas zu produzieren, was Menschen tatsächlich brauchen, dachten wir, wir helfen da mal nach und sorgen dafür, dass hier in Wolfsburg die erste Straßenbahn aus dem VW-Werk rollt”, führt die Aktivistin fort.

Das leicht satirische Aktionsbild hat eine klare Botschaft: “Wir brauchen konsequente sozial gerechte Klimapolitik”.

Klimaschutz und Autobahn

Mobilitätswende heißt es in der Klimabewegung, Aufbruch in der Mobilitätspolitik hieß es im Koalitionsvertrag der Ampelregierung 2021. Von nachhaltiger, effizienter, barrierefreier, intelligenter, innovativer und für alle bezahlbarer Mobilität ist dort die Rede, von Dekarbonisierung des Mobilitätsbereichs. “Nach dem Klimaschutzgesetz soll der Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 im Vergleich zu 2020 um über 40 Prozent sinken”, schreibt die Bundesregierung auf ihrer Webseite.

Dafür will die Bundesregierung in die Radinfrastruktur investieren, den öffentlichen Personenverkehr ausbauen und durch Angebote wie das “Deutschlandticket” zugänglicher machen sowie alternative Antriebstechnologien auf der Straße fördern. Doch in der Gestaltung dieser Verkehrspolitik gibt es in der Ampelregierung in den letzten Monaten immer wieder Streit. Zuletzt wollte Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) laut SPIEGEL-Informationen 144 Autobahnprojekte in ein geplantes Gesetz zur Beschleunigung von Verkehrsprojekten einbringen – ohne Erfolg.

Kritik an Wissings Plänen kommt auch vom BUND. Der Ausbau der Straßeninfrastruktur sei keine Lösung für die Beseitigung von Engpässen und Staus, denn er erzeuge Mehrverkehr und nach wenigen Jahren erneute Staus, heißt es in einem Papier der Naturschutzorganisation. “Statt einer Beschleunigung der Autobahnprojekte des BVWP 2030 [Bundesverkehrswegeplan, Anm. d. Red.] braucht es einen natur- und klimaverträglichen Plan für die Mobilität in Deutschland.” Alleine die Projekte des sogenannten Vordringlichen Bedarf mit Engpassbeseitigung (VB-E) im Bundesverkehrswegeplan würden laut BUND jährlich über 410.00 Tonnen CO2 emittieren.

Arbeitskampf und Klimaprotest: Hand in Hand

Genau dort, im 2016 beschlossenen Bundesverkehrswegeplan, ist auch der 105 Kilometer lange Lückenschluss zwischen Lüneburg und Wolfsburg mit vordringlichem Bedarf markiert. Die A39, die hier verlängert werden soll, führt nur wenige hundert Meter an der Aktion vorbei.

Auch wenn die Aktivist:innen hier einen Zug blockieren, geht es auch ihnen um die Autobahnen. “Autobahnbau stoppen, VW vergesellschaften” steht auf einem Transparent, das die Polizei nur wenige Minuten nach dem Auflösen der Versammlung vom Geländer löst. Zu Wissings Ideen fehlen Mona die Worte. Angesichts der Klimakrise gäbe es nur eine Antwort: “Wir brauchen keine Autos, wir brauchen keine Autobahnen”.

Verkehrswendestadt statt Autostadt ist das Motto des Protests. Und dabei geht es genau nicht darum, Arbeitsplätze und Klima gegeneinander auszuspielen – wie das in der Debatte um die Klimakrise immer wieder geschieht. “Ein Umbau des VW-Stammwerks auf ÖPNV-Produktion sichert gute Arbeitsplätze”, heißt es in einer Stellungnahme der Aktivist:innen. Mit ihrer Idee fordern sie gratis Umschulungsprogramme für alle Mitarbeitenden, eine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden bei vollem Lohnausgleich und bessere Arbeitsbedingungen für Lok- und Busfahrer:innen.

Lars Hirsekorn, Mitglied des Betriebsrats bei Volkswagen in Braunschweig, begrüßt die Forderung der Klimaaktivist:innen, die Produktion auf zukunftsfähige Produkte umzustellen. “Das finde ich einen guten Ansatz, mit dem sie auch innerhalb der Belegschaft Sympathien haben”, sagt Hirsekorn im Gespräch. In Teilen der Belegschaft gäbe es auch Bestrebungen, auslaufende Produktionszweige etwa durch Fahrradproduktion zu ersetzen.

Und damit steht die Aktion in Wolfsburg nicht alleine. In sechs
Bundesländern hatte Ver.di am Freitag zu Warnstreiks im öffentlichen
Personennahverkehr aufgerufen, Fridays For Future bundesweit zum
Klimastreik. Gemeinsam machten ver.di und Fridays for Future auf die
Bedeutung des ÖPNV im Kampf gegen die Klimakrise aufmerksam. „Ohne eine
echte Mobilitätswende werden wir den Klimawandel nicht in den Griff
bekommen“, erklärte die stellvertretende Ver.di-Vorsitzende Christine
Behle. Auch Fridays For Future fordert massive Investitionen in den ÖPNV
– “für eine klima- und sozial gerechte Verkehrswende”, wie Paula
Woltering von Fridays for Future sagt.

Die Technologie regelt das?

Die FDP setzt hingegen auf Technologieoffenheit. “Klimaneutralität ist das Ziel und zugleich eine Chance für neue Technologien”, schrieb Volker Wissing am Wochenende auf Twitter. Das Problem seien nicht der Verbrennungsmotor, “sondern die fossilen Kraftstoffe, mit denen er betrieben wird”. Ihm geht es in der Verkehrswende um Wachstumsprognosen und internationale Wettbewerbsfähigkeit.

Die Aktivist:innen auf dem Autozug haben ganz andere Antworten. „Es geht darum, eine Produktion danach auszurichten, was gebraucht wird und nicht, was Profite für Wenige abwirft”, heißt es in einem Statement. Ihr Ziel: Vergesellschaftung. VW als gemeinwohlorientierter, kollektiv geführter “VerkehrsWende-Betrieb”.

Nach rund einer Stunde und 50 Minuten beendeten die zwölf Aktivist:innen
ihre Aktion auf dem Autozug – in Anlehnung an das 1,5-Grad-Ziel von
Paris. Sie wurden von Beamt:innen in Zivil zur Polizeidienststelle
gebracht und nach Abschluss der polizeilichen Maßnahmen entlassen. Nach
Angaben der Polizei wurden Anzeigen wegen Hausfriedensbruch, Nötigung,
Beleidigung, Verdacht des gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr und
dem Verdacht der Sachbeschädigung gefertigt. Gegen eine Person wurde
eine Anzeige wegen Widerstand geschrieben.